§ 87 - Verabschiedung von Stadtrat Joachim Baumann (öffentlich)

Aus Ratsinformationssytem Schwäbisch Hall
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Sachvortrag:

Oberbürgermeister Pelgrim:

"Sehr geehrter Herr Baumann, lieber Jochen,

heute aus der Mitte des Gemeinderats verabschieden, wie Du selbst sagst: „sehr ungern“. „Sehr ungern“, so spreche ich sicherlich auch im Namen des Gemeinderates, dieses gilt auch für uns. Aber die Gesundheit zwingt einen manchmal dazu und diese kann man nur einmal verlieren.

Ein kurzer Rückblick sei gestattet:

Erstmals gewählt am 22.06.1980 auf Wahlvorschlag der SPD; eingesetzt am 10.09.1980

Wiedergewählt 1984/89/94 und 99

23 Jahre lang ununterbrochen Mitglied des Gemeinderats

Mitglied im VFA, POA, WiföA/ Beirat TZ, AR Stadtwerke, zuletzt auch im AR Sindelfingen, AR Sport- und Gaststätten GmbH (jetzt TMG) mit großen Highlights wie dem Adelshof

Du warst Kreistagsmitglied von 1973 - 1991, mit dem Du dich mit den Worten wohl verabschiedet hast, „im Kreistag gab’s und gibt’s nichts zu lachen“.

Hier kommt ein Wesenszug zum Ausdruck, den viele schätzen und fast alle im politischen Wettstreit stehenden fürchteten.


Das humoristisch rhetorische, politische Naturtalent

Tolles Beispiel dafür, dass sich Ernsthaftigkeit und Humor nicht ausschließen. Schlagfertiger Witz, Meister der Heiterkeit. Aber diese Gabe ist nicht jedem gegeben. So beneiden Dich viele um dieses Talent.

Unnachahmlich ist die Art, wenn er beispielsweise mit Unterton und einem lachenden Abschluss zur politische Gegenseite spricht, oder anspricht und Herr Graf oder Kollege Reber sagt. Berühmt und berüchtigt sind seine witzigen, für seine politischen Freunde treffende, für die politischen Gegner mindestens aufhorchende Zwischenrufe, ohne aber wirklich zu verletzen.

Dafür ist der Freund, der auch parteiübergreifenden Nachsitzung gar nicht ausgelegt, wenn ich z. B. an die in den letzten Jahren enge Verbindung mit den erst jüngst verstorbenen Altstadtrat Winfried Scheuermann erinnern darf.


Interessen, Einsatz und Verdienste:

Den Interessen galt Wirtschaftsförderung, Soziales, vor allem immer wieder die Belange des Personals/ der Bediensteten, der Ausbildung, und mit dem Wohnort verbundenen auch den Teilorten im Osten der Stadt (z. B. Weckrieden).

Lieber Herr Baumann, lieber Jochen,

Du bist ein „Roter“, ein sozialdemokratisches Urgestein durch und durch für diese Stadt und darüber hinaus.

  1. mit 20 Jahren „Nachwuchsstar“ der Haller SPD
  2. mit 28 Jahren Ortsvereinsvorsitzender
  3. mit 30 Jahren jüngstes Mitglied im Kreistag
  4. 1974 Organisator des OB-Wahlkampfs
  5. Und er ist ein überzeugter Gewerkschafter - manche trauen sich das heute ja noch kaum zu sagen. Aber auch diese Karriere ging kurz entschlossen wie immer zu Ende.
  6. Der Gesellschaftsmensch Das Alleinsein ist nicht seine Sache. Seine Gastfreundschaft ist berühmt. Die Kontaktfreudigkeit führt dazu, dass kaum eine Urlaubsreise ohne nachfolgenden Besuch bleibt. Beispielsweise die Besuche aus dem Osten, zuerst aus Jugoslawien, später aus Polen, dann aus der damaligen Tschechoslowakei, aus Neustrelitz und anderorts, aus Russland oder aus Ungarn, wie erst jüngst zum 60. Geburtstag, als eine Band aus Ungarn aufspiele. Die man dann wie zufällig bei entsprechenden Urlaubsreisen wiedertrifft. Ich weiß, dass sich alle im Hause Baumann wohlgefühlt haben und wohlfühlen. Diese gesellige, internationale, unkompliziert heitere, Weckriedener Art im Hause Baumann, und da ziehe ich Frau und Tochter mit ein, ist mit ein Grund für den Erfolg und die Beliebtheit.
  7. Der rastlose Reisende Einer, der viel und gerne unterwegs ist und andere mit seiner Reiselust ansteckt (Karibik, Südostasien, Amerika u. v. m.). Er reist so gerne und viel, um hinterher lustige Geschichten von seinen Erlebnissen erzählen zu können. Und wenn es nicht so weit ist, zum Reisen gehört das Einkehren, und dies nicht nur bei Linsen und Spätzle.
  8. Natur- und Tierliebhaber/ Leidenschaftlicher Geschäftsmann und Händler Er hat Tiere so lieb, dass Hunde nicht überall an die Leine brauchen und er ist ein leidenschaftlicher Geschäftsmann und Händler. Letzteres wird ihn/ Dich noch weiter beschäftigen.


Hierzu passend zwei Bücher als Abschiedsgeschenke:


  1. Ein Führer durch die Naturschutzgebiete im gesamten Regierungsbezirk Stuttgart und ein Buch über die „Jenischen“, die Sprache des fahrenden Volkes aus Hohenlohe, ein Buch über die Erinnerungen eines hohenloher Hausierhändler vergangener Zeiten. Ein Buch über Händler, die dem einfachen Volk ganz nahe waren.


Herr Baumann,


Ich verabschiede Sie mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge:

Einmal freue ich mich, auch für Ihre Frau, dass Sie jetzt ohne die Sitzungen sind, die oft Stress und Aufregung bedeuteten, und wünsche Ihnen noch viel Zeit, Kraft und Gesundheit für die Freizeit und die Hobbys.

Andererseits werden Sie uns fehlen mit Ihrer unnachahmlichen Art, Ihrem trockenen spontanen Humor und ich werde Ihre Erfahrung und Ihren Rat, Ihre Ansichten vermissen, auch wenn es manchmal nicht den Anschein hat."



Stadtrat Vogt:

"Lieber Jochen,

seit fast 40 Jahren verbindet uns - Dich und mich - eine sowohl persönliche als auch politische Freundschaft von erheblicher Intensität. Deshalb bitte ich Dich jetzt in aller Form um Nachsicht, wenn ich - trotz Deiner bekannten Abneigung gegen Lobreden mit häufig wenig wahrhaftigem Gehalt - heute doch ein paar Worte sage. Schließlich ist es kein Tag wie jeder andere, wenn heute ein Mann aus dem GR verabschiedet wird, der diesen Gemeinderat in 23 Jahren entscheidend mitgeprägt hat - wenig andere können dies von sich behaupten!

Du warst - und bist - ein politisches Naturtalent. Du hast - wie jeder erfolgreiche Politiker - immer einen sicheren politischen Instinkt gehabt. Du konntest mitreißen und motivieren. Sonst hättest Du es nicht geschafft, in Deinen jungen Jahren als Gewerkschafter bei der Bausparkasse die HBV innerhalb weniger Jahre von 0 auf 1000 Mitglieder zu bringen, die bis dahin alleinherrschende DAG an die Wand zu drücken und den Vorsitz des Gesamtbetriebsrats zu übernehmen. Jedes hoffnungsvolle Talent, sei es im Betrieb oder in der SPD, war in kürzester Zeit an der gastfreundlichen Tafel Deines Hauses anzutreffen. Als einer, der diese Gastfreundschaft seit fast 40 Jahren dankbar genießt, kann ich das gut beurteilen. Am Tisch Deines Hauses wurde Gewerkschafts- und SPD-Politik gemacht, schließlich warst Du auch jahrelang als mein Vorgänger Vorsitzender der Haller SPD. Unter Deiner Ägide hat die SPD als erste Haller Partei es geschafft, die Wachablösung der älteren durch die jüngere Generation zu vollenden. Dies war zum Teil schmerzhaft, die politisch interessierte Haller Öffentlichkeit hat dies nicht vergessen. Aber: Es war - im Nachhinein betrachtet- der Grund für den Aufstieg der Haller SPD, z.B. zur stärksten Fraktion im Haller GR im Jahr 1989.

Bereits im Jahr 1973 bist Du - im jugendlichen Alter von 30 Jahren - in den Kreistag eingezogen, der - weit mehr noch als der GR - ein ausgesprochenes Honoratiorengremium ist. Nach Deiner persönlichen Stimmenzahl hätte es dicke für den GR gereicht. Da Du aber Deinen Wohnsitz in einem Teilort hast, der für Deine Partei - vorsichtig formuliert - etwas ungünstig ist, hast Du bis zum Jahre 1980 warten müssen.

Seitdem sitzt Du im GR der Stadt Schwäbisch Hall und spielst Deine unverwechselbare Rolle. Niemand konnte die Mitglieder dieser Runde so zum Lachen bringen wie Du. Dein spontaner Humor war unschlagbar, Du hattest einen unglaublichen Sinn für Situationskomik, Dein Sarkasmus war gefürchtet. Um an diesem Tag keinem Deiner Opfer unangenehme Erinnerungen zu bescheren, will ich keine Beispiele nennen, obwohl mir eine ganze Reihe einfallen. Aber: Du hast niemals unter die Gürtellinie geschlagen, wie wir es leider immer wieder erleben müssen. Deine Gegenwart hat sich wohltuend auf die Atmosphäre dieses

Gemeinderats ausgewirkt. Nie warst Du verbissen oder bist dem Gremium durch Besserwisserei oder belehrendes Geschwätz auf die Nerven gegangen.

Für mich als Fraktionsvorsitzenden warst Du - trotz unserer persönlichen Freundschaft - keineswegs pflegeleicht. Du hast Deine festen Positionen gehabt -genau wie ich - und deshalb gab es manchmal handfeste Kräche im Hause Baumann, Deine Frau kann davon ein Lied singen.

Überhaupt Deine Frau, Deine Ruth: Es muss jetzt wohl mal gesagt werden, dass Du es ganz alleine auch nicht geschafft hättest. Es sagt sich so leicht, dass eine Frau selbstverständlich hinter dem Mann zu stehen hat. Was dies bei Deinem Alltag bedeutet hat, habe ich aus der Nähe miterlebt. Da geht's nicht nur um gute Küche, nicht nur darum, dass das Essen für viele Gäste rechtzeitig auf dem Tisch steht und alles was dazu benötigt wird, beschaff wird, und nach der Schlacht alles wieder weggeräumt wird. Alle Deine Erfolge und alle Deine Niederlagen - wer von uns hätte die nicht!! - mussten von Deiner Frau mitgetragen und mitverarbeitet werden. Ein geruhsames Leben gibt es im Haushalt eines Politikers, der das Geschäft intensiv betreibt, nicht. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle namens meiner Fraktion auch bei Dir, liebe Ruth, für 40-jähriges Ertragen und Erleiden von Politik ganz herzlich bedanken.

Rückblickend kannst Du erleichtert feststellen, dass Du in einer Zeit Politik machen konntest, als es mit der Stadt Schwäbisch Hall richtiggehend aufwärts ging, seit 1980 stetig und scheinbar unaufhaltsam. Vielleicht waren es tatsächlich die „Goldenen Jahre" unserer Stadt, in denen man noch den finanziellen Spielraum hatte, um Politik zu gestalten. Der 28. September 2001 hat diesem Traum ein jähes Ende bereitet. Durch eine irrwitzige Steuergesetzgebung zugunsten von Banken und Konzernen werden wir jetzt an den Rand des Ruins getrieben und es wird unser aller Anstrengungen bedürfen, um die gewaltigen Anpassungsprobleme in den Griff zu bekommen. Die durch harte Sparmaßnahmen Betroffenen werden ihren Frust gegen Verwaltung und Gemeinderat richten.

Eine allgemeine und ziellose Politikverdrossenheit wird zu einer Gefahr für die Demokratie werden. So wehmütig der Abschied von der aktiven Politik für Dich sein wird, Du kannst froh sein, dass Du dies nicht mehr unmittelbar zu spüren bekommst.

Lieber Jochen, Du wirst uns, Deiner Fraktion, fehlen, ich wage zu behaupten, Du wirst dem gesamten Gemeinderat fehlen!! Auch unseren grünen und alternativen Kolleginnen und Kollegen, die öfters Deinen Zorn und Deinen Sarkasmus auszuhalten hatten und die Dir inzwischen -wie ich weiß- verziehen haben.

Deine Fraktion wünscht Dir, der den Rückzug keineswegs freiwillig angetreten hat, alles Gute und vor allem Gesundheit für eine Zukunft, in der Dein Leben etwas ruhiger verläuft und in der Du Dich jetzt Deiner 2. Leidenschaft, nämlich dem Handel, um so mehr widmen kannst. Es wird sicherlich Entzugserscheinungen nach 40 Jahren an vorderster Front des politischen Geschehens in Hall geben. Aber: Du wirst das im Rückblick auf ein erfülltes politisches Leben mit großer Gelassenheit überwinden - dessen bin ich mir ganz sicher.

Mein persönlicher Wunsch ist, dass ich Dein Freund bleiben darf und Du mit denen, die den Karren in beschwerlichem Gelände weiter ziehen müssen, nachsichtig umgehst. Du verabschiedest Dich heute vom Gemeinderat, nicht aber von Deinen Freunden innerhalb und außerhalb des Gemeinderats."


Stadträtin Rabe bedauert im Namen der gesamten CDU-Fraktion das Ausscheiden von Herrn Baumann, dessen Zwischenrufe allen fehlen würden.

Die Persönlichkeit „Joachim Baumann“ - ein Mann mit Ecken und Kanten - verfüge über eine herausragende Rhetorik. Namens ihrer Fraktion dankt sie ihm für die Zusammenarbeit und die Bereicherung des Gemeinderats in den letzten 23 Jahren.

Stadtrat H. Baumann sagt seinem persönlichen Freund „Ciao Jochen“.

Als jemand, der ihm außerhalb seiner Fraktion am Nächsten stehe, wisse er, wo er Joachim Baumann finden könne, um ein „Viertele“ oder ein Bier mit ihm zu trinken.

Stadtrat Dr. Hasenfuss möchte es als Lob verstanden wissen, das er sich oft „furchtbar“ über J. Baumann geärgert habe. Doch das sei nach der jeweiligen Sitzung vorbei gewesen.

Er bedankt sich bei dem SPD-Mann für dessen Streitkultur und erfrischende Polemik.

Joachim Baumann bekennt, dass er „unter Schock stehe“ von dem, was über ihn gesagt wurde.

Er appelliert an die Kollegen, das Maß bei den Steuern und Gebühren nicht zu verlieren.

Er selbst habe seine Arbeit auch als Anwalt der kleinen Leute verstanden.

Anwälte der großen gäbe es genug. Ihm sei es aber immer um die beste Lösung gegangen.

Im Gemeinderat sollte ein menschlicher Umgang gepflegt werden, zumal die Positionen häufig nicht sehr weit auseinanderlägen.

Er mache keinen Hehl daraus, was ihm am meisten missfalle:

Dass die Haller Bausparkasse auf Druck der Konzern-Mutter keine Steuern bezahle und damit die Ausfälle der Fluggesellschaft Sabena oder des Medienimperiums Kirch bezahle.

Andererseits würde sich die gesamte Führungsspitze des Bankenkonzerns mitten in die Stadt - nämlich auf den Markplatz - zum „Speisen vom Feinsten“ setzen (s. a. HT 27.06.03).

Er als Arbeitnehmervertreter hätte dies nicht mitgemacht.

Bei den Grünen entschuldigt er sich und würdigt deren Arbeit. Sie würden stets ihre Linie vertreten und nicht umfallen.

Den Aufsichtsräten von GWG und TMG rät er, aufzupassen, „damit Pawlitzki nicht allein wirtschaftet“.



Oberbürgermeister Pelgrim überreicht Joachim Baumann abschließend die Silberne Rathausmedaille, den Stadtrats-Zinnbecher, die beiden bereits erwähnten Bücher und übergibt seiner Gattin einen Blumenstrauß als Dankeschön dafür, dass sie ihren Mann 23 Jahre lang in seiner Gemeinderatsarbeit unterstützt und stets „mitgezogen“ habe.

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