§ 12 - Umgang mit Bettlern und Straßenmusikanten (öffentlich)
Sachvortrag:
Die Art und Weise wie das Haller Tagblatt in der Vorweihnachtszeit über den Umgang der Stadtverwaltung mit organisierten Bettlern berichtet hat, führte in der Bevölkerung verständlicherweise zu Unverständnis. Fragen wurden laut, warum die Stadtverwaltung und die Polizei gerade in der Vorweihnachtszeit „so schroff“ mit den Bettlern umgeht. HT-Leser haben angerufen, um ihr Missfallen dagegen auszudrücken, dass „den armen Bettlern ihr Geld abgenommen wird“. Als diese im Gespräch über den ganzen Sachverhalt informiert wurden, kamen viele zu einer anderen Beurteilung. Die Bevölkerung interessiert zu recht, weshalb die Stadtverwaltung organisierte Bettler anders behandelt als nicht organisierte, deren Betteln geduldet wird, solange es nicht besonders aufdringlich ist. Um dem Gemeinderat und der Öffentlichkeit ein möglichst objektives Bild und ein eigenes Urteil zu ermöglichen, will die Verwaltung diese gerne umfassend informieren: Allgemein ist zu beobachten, dass organisierte Bettlergruppen aus der Slowakei bereits seit vielen Jahren mehr oder weniger intensiv versuchen, viel frequentierte öffentliche Straßen und Wege in der Innenstadt zum Betteln in Anspruch zu nehmen. Im Bericht des Haller Tagblatts vom 10.02.2005 kommt dies deutlich zum Ausdruck. Am Sachverhalt und der rechtlichen Beurteilung hat sich bis heute nur so viel geändert, dass die Anzahl der Bettlergruppen so erheblich zugenommen hat, dass Stadt und Polizei zu noch konsequenterem Handeln gezwungen waren. Bei Personenkontrollen wurden im November 2011 18 slowakische Bettlerinnen und Bettler festgestellt. Hinzu kommt eine unbekannte Dunkelziffer. Rechtlich handelt es sich bei dieser Art des Bettelns um eine Straßennutzung, die über den Gemeingebrauch hinausgeht und deshalb nach § 16 Straßengesetz erlaubnispflichtig ist. Da keine Erlaubnis erteilt wurde liegt eine Ordnungswidrigkeit vor, die nach § 54 Straßengesetz mit einem Bußgeld geahndet wird. Polizeiliche Platzverweise wurden ignoriert. Somit bleibt als nächste Maßnahme nur die Anzeige der damit verbundenen Ordnungswidrigkeit. Da diese Personen in Deutschland keinen festen Wohnsitz haben und nicht damit zu rechnen ist, dass jemals ein Bußgeld bezahlt wird, kann als Sicherheitsleistung ein vergleichbarer Betrag des eingenommen Geldes eingezogen werden. Auf diese Weise sind im Jahr 2011 von insgesamt sechs Personen zusammen 127,41 € eingezogen worden. Um nicht den geringsten Eindruck einer „Bereicherung zulasten von armen Bettlern“ entstehen zu lassen, beabsichtigt die Verwaltung, diesen Betrag zu verdoppeln und dem Verein Nachbar in Not für Hilfsbedürftige zu übergeben. Oberbürgermeister Pelgrim hat am 10.01.2012 mit fünf aus der Slowakei stammenden Bettlern ein Gespräch geführt und sich nach ihrer persönlichen Situation erkundigt. Alle kommen schon einige Jahre nach Schwäbisch Hall und nehmen offenbar so viel ein, dass sich der weite Weg lohnt. In anderen Städten seien die Einnahmen geringer. Nachdem alle die Bereitschaft zur Annahme von Arbeit betonten, sagte OB Pelgrim sein Unterstützung bei der Vermittlung von Arbeit zu, stellte jedoch auch unmissverständlich klar, dass sie zum Betteln keine Erlaubnis erhalten. Lediglich für die Zeit bis 21.01.2012 (der von ihnen beabsichtigten Rückreise) wurde eine Erlaubnis zugesagt. Diese wurde jedoch zu den wiederholt vereinbarten Terminen nicht abgeholt. Bei der Frage, wie mit diesen organisierten Bettlergruppen umzugehen ist, muss folgendes bedacht werden:
* Dem Wohlstandsgefälle in Europa kann nicht dadurch entgegengewirkt werden, dass ein derartiger Betteltourismus gefördert wird. * Nachhaltige Hilfe im Sinne einer Arbeitsvermittlung lässt sich hier kaum bewirken. Bei der Stadtverwaltung gingen zudem auch zahlreiche Beschwerden und Hinweise über das Verhalten einzelner Bettlerinnen und Bettler ein:
* Bettler, denen statt Geld ein Vesperbrot gegeben wurde, haben dies in den Müll geworfen.
* Eine gespendete Banane wurde dem Spender hinterher geworfen.
* Bettler wurden in der Spielhalle beim Glücksspiel beobachtet.
* Außerdem sind einige dieser Personen schon im Zusammenhang mit Straftaten bei der Polizei bekannt.
* Eine Passantin hat berichtet, sie habe nach einer Sammelerlaubnis gefragt und sei dann verbal angegriffen worden: „Verpiss dich, sonst haue ich dir aufs Maul.“
* Im vergangenen Jahr wurde über eine Bettlerin berichtet, die einen gebrechlichen Mann angesprochen hat. Nachdem sie so dünn gewesen sei und ihn so lieb angeschaut habe, öffnete er seinen Geldbeutel und wollte ihr 4 € geben. Dabei hat sie blitzschnell zugegriffen, 50 € gestohlen und ist damit fortgerannt. Der Mann war völlig verzweifelt, er hat selbst kaum mehr als 200 € zum Leben zur Verfügung. Darauf angesprochen, haben die fünf beim Gespräch anwesenden Personen diese Anschuldigungen zurückgewiesen. Letztlich ist es in der Verantwortung des Gemeinderates, ob diesen Gruppen nach § 16 Straßengesetz eine Sondernutzungserlaubnis zum Sammeln von Geld erteilt werden soll. Wenn ja, müssten zwecks einheitlicher Handhabung Richtlinien erlassen werden, nach denen die Verwaltung dann zu entscheiden hätte. Straßenmusik steht unter dem Schutz der Kunstfreiheit und ist deshalb im zumutbarem Rahmen erlaubt. Die Verwaltung wendet die gleichen Regeln an wie die Stadt Ulm.
Anlage 1: Ausschnitt aus dem Haller Tagblatt vom 10.02.2005
Anlage 2: Briefentwurf
Anlage 3: Flyer
Fachbereichsleiter Bürgerdienste & Ordnung Gentner berichtet, dass es das Problem des grenzüberschreitenden Bettelns bereits seit 2005 gibt. Ende des Jahres 2011 ist die Anzahl der Personen, die betteln, im Stadtgebiet auf 18 Personen angestiegen. Dies hatte zur Folge, dass die Bürgerinnen und Bürger forderten, ordnend und maßregelnd einzugreifen. Gemeinsam mit der Polizei verständigte man sich entsprechend den Regeln aus dem Jahre 2005 vorzugehen. In einer ersten Maßnahme wurden Platzverweise ausgesprochen, bei Nichtbeachtung wurde die nicht genehmigte Sondernutzung als Ordnungswidrigkeit geahndet und mit Bußgeld belegt. Bei Personen ohne Wohnsitz ist es üblich, Bargeld als Sicherheitsleistung einzubehalten. Die Summe der Sicherheitsleistungen beträgt nach aktuellem Stand 139,09 €. Entsprechend der Diskussion im VFA am 23.01.2012 wurde dieser Betrag verdoppelt und über den Verein „Nachbar in Not“ einer bedürftigen Person die Heizölrechnung bezahlt.
Fachbereichsleiter Bürgerdienste & Ordnung Gentner führt aus, dass es sich bei der Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen um Ermessensentscheidungen handelt. Er bittet das Gremium um Äußerung, ob entsprechend dem Sachvortrag verfahren werden soll.
Auch die Straßenmusik ist nicht unproblematisch: Um regelnd einzugreifen sollen hier die Vorgaben der Stadt Ulm für Schwäbisch Hall übernommen werden und Anwendung finden.
Oberbürgermeister Pelgrim weist darauf hin, dass organisiertes und kriminelles Verhalten zu trennen ist. Eine Organisation liegt vor (gemeinsame Anfahrt, wechselnde Plätze, Betteln zum Erwerbszweck), dagegen konnte für das Vorliegen mafiöser Strukturen keine Anhaltspunkte gewonnen werden. Die Möglichkeit, diese Personen in Arbeit zu bringen, hat sich ebenfalls zerschlagen, da einerseits die Qualifikation sehr gering ist und auch die Anfrage an die Haller Arbeit nicht positiv beschieden wurde. Man befinde sich mit der Problematik in einer Grauzone. Dieser ist mit viel Fingerspitzengefühl zu begegnen, eine Legalisierung durch die Ausstellung von Sondernutzungserlaubnissen soll es jedoch nicht geben.
Stadträtin Härterich stellt zwei Aspekte gegenüber:
Einerseits entscheidet jede Bürgerin/ jeder Bürger für sich selbst, wem sie/er hilft - andererseits sollte auch dem Betteltourismus Einhalt geboten werden. Man darf nicht verkennen, dass die Vorbeigehenden durchaus Belästigungen ausgesetzt sind. Sie will keine Erlaubnisse ausstellen, es soll ein sensibler Umgang mit den bettelnden Menschen angestrebt werden, die Anzahl solle jedoch nicht überhand nehmen.
Stadträtin Jörg-Unfried vertritt eine andere Rechtsauffassung als die Verwaltung:
# Das stille Betteln ist i. E. lt. dem Urteil des VGH legal und durch das Grundrecht der Handlungsfreiheit gedeckt. Eine Regelung hierzu ist weder durch den Gemeinderat noch durch die Stadtverwaltung zulässig.
# Das stille Betteln stelle keine Sondernutzung dar. Stilles Betteln, bei der sich die bettelnde Person weder bewegt noch auf andere zubewegt, ist weder eine Gefahr noch eine Störung der öffentlichen Sicherheit. Platzverweise gemäß § 27 a Polizeigesetz sind demnach nicht zulässig.
Stadträtin Jörg-Unfried sieht die Situation in Schwäbisch Hall für die Bevölkerung nicht beeinträchtigt. Sie plädiert außerdem dafür, die Bürgerin/ den Bürger selbst entscheiden zu lassen, ob sie/er den bettelnden Personen eine Spende gibt.
Stadtrat Waller hält den von der Verwaltung eingeschlagenen Weg für den richtigen. S. E. wurde mit Augenmaß gehandelt. Er traut der Verwaltung durchaus angemessenes Verhalten zu. Rechtliche Einschätzungen sind ihm nicht möglich.
Stadtrat Härtig bittet darum, das passive Betteln (bei Nichtvorliegen von kriminellen Strukturen) zu tolerieren, um so dem Ruf der Stadt als offen und warmherzig gerecht zu werden. Platzverweise sollten keine mehr ausgesprochen werden. Er sieht das Stadtbild nicht beeinträchtigt. Die Regeln der Straßenmusik sind ihm zu rigide, er bittet, diese nochmals zu überarbeiten.
Stadtrat Preisendanz hält die Regeln zur Straßenmusik für nicht umsetzbar. Ihm sind die Regeln zur Straßenmusik nicht weitgehend genug. Bei der Diskussion um die bettelnden Personen kann er sich nicht vorstellen, dass nicht eine Organisation mafiöser Art dahintersteckt. Sicherlich hat jeder die freie Entscheidung, ob er eine Spende gibt. Es gibt jedoch auch die Fälle, wo Nichtsgeben automatisch mit einem schlechten Gewissen verbunden ist. Diese Bürgerinnen und Bürger Schwäbisch Halls meiden die Plätzen, an denen die Bettler knien. Dies bedeutet eine Beeinträchtigung des innerstädtischen Handels. Langfristig gesehen gehen so dem Staat und auch der Stadt Steuereinnahmen verloren.
Oberbürgermeister Pelgrim gibt zu bedenken, dass es sich nicht nur um stilles Betteln für sich selbst handelt, sondern dass durchaus organisatorische Strukturen hinterlegt sind. Er bekräftigt nochmals, dass es sich um eine Grauzone handelt, in der mit Maß und Ziel agiert werden sollte. Platzverweise gleich vom ersten Moment an soll es nicht geben. Momentan ist die Situation noch unkritisch, obwohl es durchaus nicht akzeptable Begleiterscheinungen (Übernachten auf der Auwiese, Entzünden eines Lagerfeuers dort, Verrichten der Notdurft, Müllentsorgung in den Rabatten) gibt. Sollte sich die Anzahl der bettelnden Personen weiter erhöhen, liegt durchaus ein ordnungspolitisches Thema vor, das angegangen werden muss. Zur Straßenmusik ist anzumerken, dass keiner der Vollzugsbediensteten mit der Stoppuhr durch die Stadt läuft, die Verwaltung möchte bei Beschwerden eine Handhabe haben.
Stadtrat Vogt befürchtet, dass die juristischen Ausführungen von Stadträtin Jörg-Unfried nicht verstanden worden sind. Das stille Betteln ist durch den Gemeingebrauch gedeckt und bedarf keiner Sondernutzungserlaubnis. Eine Konkurrenz zu einheimischen, bettelnden Personen sieht er nicht, diese erhalten den Tagessatz, das Betteln ist lediglich Zubrot.
Fachbereichsleiter Bürgerdienste & Ordnung Gentner hat mit der Toleranz gegenüber bettelnden Personen kein Problem, er stellt jedoch fest, dass er für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zuständig ist und diese Aufgaben auch wahrnehmen muss. Das von Stadträtin Jörg-Unfried zitierte VGH-Urteil bezieht sich auf eine Situation in der Betteln grundsätzlich untersagt wurde. Fachbereichsleiter Bürgerdienste & Ordnung Gentner zitiert das Straßengesetz, hierin befindet sich die Legaldefinition des Gemeingebrauchs. Hiernach ist jedem die Nutzung von Straßen und Plätzen innerhalb gewisser Grenzen gestattet - dieses betrifft das stille Betteln. S. E. liegt hier jedoch eine intensive, den Gemeingebrauch übersteigende Nutzung vor, die eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellt. Infolge dessen ist gemäß § 27 a Polizeigesetz ein vorübergehender Platzverweis rechtlich nicht zu beanstanden.
Stadträtin Härterich fasst zusammen, dass es alles in allem um die Begrenzung der Anzahl der bettelnden Personen geht.
Beschluss:
# Vom Vorgehen der Verwaltung wird zustimmend Kenntnis genommen.
# Angereisten Bettlergruppen soll auch künftig keine Sondernutzungserlaubnis erteilt werden.
# Den Regeln für Straßenmusik wird zugestimmt. (17 Ja-Stimmen, 14 Nein-Stimme, 1 Enthaltung)