§ 51/1 - Stellungnahme der Verwaltung zur Moschee-Dabatte (öffentlich)

Aus Ratsinformationssytem Schwäbisch Hall
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Sachvortrag:

In die Debatte um den Bau einer Moschee in Schwäbisch Hall hat in den vergangenen Wochen eine unwürdige Polemik Einzug gehalten. Folgende Ausführungen sollen zur Versachlichung der Diskussion beitragen.


Ausgangssituation

Wir leben heute in einer offenen Gesellschaft, die sich durch eine hohe Mobilität und einen weltumspannenden Informationsaustausch kennzeichnet. Eine Abschottung gegenüber anderen Kulturen, Weltanschauungen und Religionen ist zum einen schwerlich möglich, wenn nicht gar ganz unmöglich; zum anderen aber – und das ist viel wesentlicher – nicht sinnvoll, sondern im Gegenteil kontraproduktiv.

In Deutschland leben Millionen von Menschen aus ursprünglich anderen Ländern, viele von ihnen sind Muslime. Sie leben z.T. seit Jahrzehnten mit und unter uns, Ihre Kinder wurden hier geboren, sie gehen hier zur Schule, erlernen Berufe oder studieren, sie arbeiten, gründen Familien, sie lachen und sie weinen, sie feiern und sie trauern. All diese Menschen sind Teil unserer Gesellschaft mit eigenen Wurzeln und eigenem kulturellen und religiösen Hintergrund. Sie tragen zum Bruttosozialprodukt und zum hohen Lebensstandard bei uns bei.

Andere wandern Jahr für Jahr neu zu. Auch sie werden damit Teil unserer Gesellschaft, auch sie sollten wir schon im eigenen Interesse schnell und vorbehaltlos integrieren. Unabhängig davon, welche Details in der derzeitigen Debatte über die Regulierung der Zuwanderung noch ausgehandelt werden, zeigt gerade diese Debatte überdeutlich: Deutschland ist ein Einwanderungsland.


Das heutige Deutschland ist Heimat einer multinationalen und multiethnischen Gesellschaft. Schwäbisch Hall ist ein verkleinertes Abbild dieser Situation. Der verbindliche Wertemaßstab aller hier lebender Menschen - ob Deutsche oder Nichtdeutsche, ob Christen, Muslime, Buddhisten oder Atheisten - ist das Grundgesetz, und weitergehend die sonstigen rechtlichen Regelungen. Unser säkulares Staatswesen ist durch die Trennung von Staat und Kirche gekennzeichnet, gleichzeitig ist im Grundgesetz die Religionsfreiheit garantiert.


Der Islam

Die Einwände einiger Anwohner und von Teilen des Gemeinderats gegen den Bau der Moschee in der Gaildorfer Straße liegen auch in einer Verunsicherung gegenüber dem Islam begründet. Deshalb einige Sätze zum Islam und zur Türkisch-Islamischen Union, die die Schwäbisch Haller Moschee bauen möchte.

Der Islam ist eine Weltreligion mit fast 1 Milliarde Anhängern, d.h. rund jeder 6. Mensch auf unserer Erde ist ein Muslim, allein in Deutschland leben etwa 2 Mio. Muslime. Richtig ist, dass im Islam allgemein die Trennung von Staat und Religion nicht vorgesehen ist, d.h. dass ein islamischer Staat für gläubige Muslime die ideale Staatsform darstellt. Richtig ist auch, dass der Koran für gläubige Muslime das direkte Wort Allahs (Gottes) darstellt. Er unterscheidet sich hierin deutlich vom Christentum, in dem es einen großen Interpretationsspielraum der Bibel gibt, wie es am Beispiel Martin Luthers ganz deutlich wird.

Es gibt innerhalb des Islam verschiede Glaubensrichtungen. Die bekanntesten sind die Schiiten (hauptsächlich im Iran verbreitet) und die Sunniten (die Mehrheit der Muslime gehört dieser Richtung an). Es gibt jedoch noch mehrere Abspaltungen von diesen Hauptrichtungen wie die Hanbariten, Ashariten, Wahabiten, Aleviten und viele mehr. Innerhalb dieses Kontextes kommt den verschiedenen Koranschulen ihre Bedeutung zu, die die Aussagen des Koran jeweils verbindlich interpretieren.

Die Türkisch-Islamische Union, die eine Moschee in Schwäbisch Hall errichten möchte, gehört der sunnitischen Glaubensrichtung an. Die Türkisch-Islamische Union vertritt die offizielle laizistische Haltung der türkischen Staats, in der die Freiheit des öffentlichen Lebens von religiöser Bindung betont wird.

Der Terroranschlag in den USA vom 11. September letzten Jahres und der von Osama Bin Laden u.a. ausgerufene Heilige Krieg sind beängstigend. Die fundamentalistisch begründeten Terrortaten von Extremisten aber generell mit der Weltreligion Islam gleichzusetzen wäre genau so unrichtig, wie die religiös motivierten Gräueltaten in Nord-Irland mit dem Christentum grundsätzlich in eine Linie zu stellen.

Eine Broschüre der Hilfsaktion Märtyrerkirche e.V. mit dem Titel: „Geschichte des Islam – geschrieben mit Blut und Terror“, die in den vergangenen Tagen in der Rollhofsiedlung aufgetaucht ist, trägt zur weiteren Verunsicherung bei. Recherchen der Verwaltung haben ergeben, dass die Hilfsaktion Märtyrerkirche e.V. ursprünglich gegründet wurde, um verfolgten Christen in den kommunistischen Ländern Osteuropas zu helfen.


Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und der damit verbundenen neuen Freiheit in der Religionsausübung in den betroffenen Ländern hat die Hilfsaktion ihre Zielsetzung verloren und begonnen, ein neues „Feindbild“ aufzubauen. Gleichzeitig hat sie sich in ihren Ansichten immer stärker radikalisiert.

Nach Auskunft der Arbeitsstelle Weltanschauungsfragen der Ev. Landeskirche in Württemberg distanzieren sich diese und andere kirchliche Organisationen eindeutig von der politischen Position der Hilfsaktion Märtyrerkirche e.V.


Moschee in Schwäbisch Hall

In Schwäbisch Hall leben insgesamt 789 Einwohner türkischer Abstammung. Muslime anderer Nationen vergrößern die Anzahl potentieller Nutzer einer Moschee. Diese Menschen haben nach dem Grundgesetz das Recht, ihre Religion zu leben. Das kommunale Gemeinwesen muss dafür Sorge tragen, allen Bürgerinnen und Bürgern Rahmenbedingungen vorzuhalten, die diese zur Wahrung ihrer kulturellen, religiösen und weltanschaulichen Identität benötigen, solange sie den gesetzlichen Vorgaben entsprechen.

Weltoffenheit und Toleranz haben Tradition in Schwäbisch Hall. Deshalb fühlen sich Menschen aus anderen Ländern hier wohl, deshalb ist das hiesige Goethe-Institut so erfolgreich und nicht zuletzt deshalb wollen Muslime ihre Moschee hier bauen.

Die Rahmenbedingungen für den geplanten Moscheebau in Schwäbisch Hall wurden im Verlauf der vergangenen Monate immer mehr verfeinert und auf die Situation in unserer Stadt zugeschnitten. Die Verwaltung hat sämtliche Anregungen und Anfragen aus dem Gemeinderat aufgenommen und in der weiteren Diskussion berücksichtigt.

Eine Prüfung verschiedener Standortvarianten im Jahr 2001 hat eindeutig gezeigt, dass der vorgesehene Standort an der Gaildorfer Straße unter Berücksichtigung aller Aspekte der für dieses Vorhaben am besten geeignete ist. Dieser Haltung folgte der Gemeinderat im Mai 2001 durch einen entsprechenden Zuteilungsbeschluss.

Allerdings wurde der ursprünglich vorgesehene Verkauf des Grundstücks in einen Erbbaurechtsvertrag umgewandelt. In diesem sind klare Nutzungsbeschränkungen enthalten, die für die Nachbarschaft möglicherweise übermäßig beeinträchtigende Nutzungen unterbinden. Für den Fall der Zuwiderhandlung steht der Stadt Schwäbisch Hall ein Heimfallsrecht des Grundstücks zur Verfügung.

Das im Zusammenhang mit der Diskussion um den Moscheebau von der Fraktionssprecherin der CDU formulierte tiefe Misstrauen gegenüber dem OB und der Verwaltung ist ein nicht zu begründender Angriff gegenüber allen städtischen Mitarbeitern, die dem Gemeinderat gewissenhaft zuarbeiten und ihre Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen.

„Parteipolitisch motivierte Attacken oder solche aus Gründen der Selbstdarstellung sollten nicht auf dem Rücken von Minderheiten ausgetragen werden“, so der Oberbürgermeister dazu.


Fazit

Die Muslime in unserer Stadt haben das Recht auf freie Religionsausübung. Der vorgesehene Standort für eine Moschee in der Gaildorfer Straße ist unter mehreren Alternativen der am besten geeignete. Im Erbpachtvertrag sind Passagen aufgenommen worden, die geeignet sind, unzumutbare Beeinträchtigungen der Anwohnerschaft zu verhindern.

Das Thema Moscheebau ist in Schwäbisch Hall (wie auch andernorts) ein höchst sensibles. Aus diesem Grund muss eine besondere Besonnenheit in der Diskussion angestrebt werden. Polemik sollte keinen Platz darin finden. Die Offenheit und Toleranz, die Schwäbisch Hall im Laufe vieler Jahrhunderte auszeichnete, kann auch in der Frage des Moscheebaus sichtbar werden.

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