§ 165 - Bewerbung Schwäbisch Halls als europäische Kulturhauptstadt; hier: Stellungnahme der Verwaltung zum Antrag der FDP vom 21.04.2015 (öffentlich)

Aus Ratsinformationssytem Schwäbisch Hall
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Sachvortrag:

Die FDP-Gemeinderatsfraktion hat mit Schreiben vom 21.04.2015 den Antrag gestellt, im Gemeinderat zu beschließen, dass sich die Stadt Schwäbisch Hall darum bewirbt, Kulturhauptstadt Europas zu werden.

Nach Auffassung der Stadtverwaltung leistet der Antrag einen wertvollen Beitrag im Rahmen der Überlegungen zur Positionierung der Stadt als „Aufstrebende Kulturstadt für die Region der Weltmarktführer“.

Hintergrund / Historie
Auf Vorschlag der damaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercouri beschloss der Rat der Europäischen Gemeinschaft am 13.06.1985, alljährlich eine „Kulturstadt Europas“ zu benennen, Fördermittel hierfür bereitzustellen und der europäischen Öffentlichkeit besondere kulturelle Aspekte der jeweiligen Stadt (bzw. auch der Region und des Landes) zugänglich zu machen.1 1985 machte Athen den Auftakt, (West-)Berlin war Kulturstadt Europas 1988.

EU-Parlament und -Rat beschlossen 1999, diese Kulturinitiative als Gemeinschaftsaktion „Kulturhauptstadt Europas“ fortzuführen und das Rotationsprinzip einzuführen. In dem entsprechenden Jahr (ab 1999) finden seither in einer oder mehreren Kulturhauptstädten gleichzeitig kulturelle Veranstaltungen statt.2 Eine der gleich sechs Kulturhauptstädte Europas 1999 war in jenem Jahr Weimar.

Nach den EU-Erweiterungen 2004 und 2007 wurde mit Beschluss durch EU-Parlament und -Rat dazu übergegangen, immer zwei Städte (aus je einem alten und neuen Mitgliedsland) auszuwählen. Für die Jahre 2009-2033 wurden im Vorfeld bereits jeweils zwei Länder (und zusätzlich in einigen Jahren ein drittes Land) festgelegt, aus denen die Städte benannt werden.3 Im Jahr 2010 setzte sich Essen (mit dem Ruhrgebiet) im innerdeutschen Wettbewerb durch und trug diesen Titel.

Das Programm wurde anfänglich aufgelegt, um die europäische Einigung voranzubringen. In den vergangenen Jahren zeigte sich jedoch, dass die Nebeneffekte des Titels, wie höherer internationaler Bekanntheitsgrad der ausgewählten Stadt, Anstieg des Tourismus und Förderung der Kultureinrichtungen und der Kulturwirtschaft, stärker an Bedeutung gewannen. Aus den Evaluierungen und der stattgefundenen Konsultation geht deutlich hervor, dass die Veranstaltung „Kulturhauptstadt Europas“ den betreffenden Städten und Regionen einen vielfältigen Nutzen bringt: So entfaltet die Initiative auch im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich eine beachtliche nachhaltige Wirkung, besonders dann, wenn sie in eine langfristige kulturpolitische Entwicklungsstrategie (wie es die Intention der Markenstrategie der Stadt Schwäbisch Hall ist) eingebunden wird.

Ausschreibung/ Vergabeverfahren/ Bewerbungskriterien/ Finanzen
Deutschland wird 2025 gemeinsam mit Slowenien wieder die Kulturhauptstadt Europas stellen.

Die Ausschreibung der Bewerbung durch die EU erfolgt 2019. Bereits ab 2017 müsste über eine Bewerbung entschieden und müssten erste Vorläuferprojekte begonnen werden. 2019/2020 muss eine ausführliche Bewerbung ausgearbeitet und die nationale Vorauswahl abgeschlossen sein. Die Nominierung durch die EU erfolgt 2020.

In der Vergangenheit bewegten sich die Budgets der Kulturhauptstädte in einem Rahmen von 15 - 100 Mio. €. Die Gesamtkosten der bisherigen deutschen Kulturhauptstädte betrugen für Berlin 27 Mio. €, für Weimar 45,9 Mio. € und für Essen/Ruhr 65,5 Mio. €.
Insgesamt fördert die EU die ausgewählte Stadt mit maximal 1,5 Mio. €. Investitionskosten werden nicht bezuschusst. Aufgrund der finanziellen Dimensionen ist die Gewinnung von (potenziellen) öffentlichen und privaten Sponsoren eine wichtige Aufgabe im Rahmen einer Bewerbung. Der städtische Anteil der Finanzierung der Ausgaben lag bei den meisten Kommunen unter 30 %.

Bewerbung / Wettbewerbssituation
Die Bewerbungskriterien verlangen von den Bewerberstädten den Nachweis von Kapazitäten und einer Infrastruktur, die ein Kulturhauptstadtjahr bewältigen kann. An dieser Stelle muss man auch die Grenzen der Stadt Schwäbisch Hall im Blick haben. Die Kulturhauptstädte der letzten Jahre hatten im jeweiligen „Kulturhauptstadt-Jahr“ eine sehr hohe Zahl an Veranstaltungen und Besuchern, was eine gewaltige Herausforderung darstellt:

  • Luxemburg (2007):  5.000 Einzelveranstaltungen, 3,3 Mio. Besucher
  • Liverpool (2008):  7.000 Einzelveranstaltungen,  15 Mio. Besucher
  • Linz (2009):  7.700 Einzelveranstaltungen, 3,4 Mio. Besucher
  • Essen/Ruhr (2010): 5.000 Einzelveranstaltungen, 3,4 Mio. Besucher
  • Marseille (2013): 10 Mio. Besucher

Etliche deutsche Städte befassen sich bereits seit Jahren mit der Bewerbung für 2025. Freiburg z. B. seit 2009, in Mannheim gibt es seit 2008 ein Bewerbungsbüro (Etat im Jahr 2013: 250 000 Euro Sachkosten und 300 000 Euro Personalkosten).

Die Kosten der Bewerbung sind seitens der EU nicht förderfähig. Die Bewerbung muss bereits ein umfangreiches Konzept für eine integrierte kulturelle Stadtentwicklung beinhalten.

Eine Bewerbung kann erfahrungsgemäß nur dann erfolgreich sein, wenn bei der Bewerbung professionell und mit einem adäquaten Mitteleinsatz vorgegangen wird. Für die Bewerberphase müssten ab 2017/18 mindestens Mittel in Höhe von 500.000 € jährlich, so die Erfahrungen aus Essen, finanziert werden.
Bisher bekannte voraussichtliche Bewerber in Deutschland für 2025 sind: Nürnberg (Metropolregion), Würzburg, Bamberg, Dresden, Leipzig, Magdeburg, Stralsund, Kassel, Frankfurt. In Baden-Württemberg Mannheim mit der Metropolregion Rhein-Neckar und Freiburg. Stuttgart hat sich gegen eine Bewerbung entschieden, insbesondere da bis 2025 einige Infrastrukturmaßnahmen (z.B. Stuttgart 21) noch nicht zum Abschluss gebracht sind.

Bewertung
Die Stadtverwaltung lehnt eine Bewerbung als „Kulturhauptstadt Europas“ unter den derzeit geltenden Ausschreibungsbedingungen und der damit einhergehenden Konkurrenzsituation zu anderen (weitaus größeren) deutschen Städten ab. Es wird als nicht sinnvoll erachtet, eine von vornherein chancenlose Bewerbung - mit dem hiermit verbundenen Ressourceneinsatz -  abzugeben. Bereits die Bewerbungskosten lägen voraussichtlich deutlich im siebenstelligen Bereich (Nürnberg rechnet z. B. mit fünf bis sechs Millionen Euro). Eine Bewerbung weckt Hoffnungen und Erwartungen, die nach Einschätzung der Stadtverwaltung nicht erfüllt werden könnten. Eine Bewerbung Schwäbisch Halls unter den geltenden Voraussetzungen könnte von den überregionalen Medien und der Öffentlichkeit zudem als anmaßend wahrgenommen werden und damit Vertrauen und Sympathie verspielen. Das könnte letztlich dem in vielen Jahren erarbeiteten positiven Ruf als kleine, aber außergewöhnlich engagierte Kulturstadt mehr schaden als nutzen.

Ausblick
Ziel der Erlangung des Titels „Kulturhauptstadt Europas“ könnte es sein, nach außen, d. h. deutschland- und europaweit, Aufmerksamkeit auf die (Kultur-)Stadt Schwäbisch Hall und ihr – im Vergleich zur Stadtgröße – außergewöhnlich hohes kulturelles Niveau zu lenken. Nach innen könnte eine Bewerbung dazu dienen, gemeinsam mit Kulturschaffenden auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten und über das Thema Kultur städtebauliche Potenziale zu heben. Dies würde unterstützend wirken im Hinblick auf die formulierte Strategie, die „aufstrebende Kulturstadt für die Region der Weltmarktführer“ zu sein und das städtische Handeln danach auszurichten.

Die derzeit geltenden Ausschreibungsbedingungen und die deshalb zu erwartenden Wettbewerber innerhalb Deutschlands programmieren allerdings Chancenlosigkeit für kleine Städte.

Deshalb schlägt die Stadtverwaltung vor, das Gespräch mit der EU-Kommission zu suchen, um einen Titel/ Wettbewerb vorzuschlagen, für den sich länderübergreifend mehrere (ausdrücklich kleinere) Städte gemeinsam bewerben können (Arbeitstitel: „Small sized cultural cities and transnational interaction“ SSCC-TI). Dabei wäre insbesondere darauf hinzuweisen, dass kleine Städte in Europa einen Beitrag zur kulturellen Vielfalt ihres Kontinents leisten, der typisch für Europa und weltweit einzigartig ist.

Falls die EU die Idee aufgreift, könnte beispielsweise eine gemeinsame Bewerbung mit unseren Partnerstädten erfolgen. Erste positive Signale wurden aus Lappeenranta und Zamosc gesendet.

 

FDP-Fraktionsvorsitzender Preisendanz nimmt mit großem Bedauern zur Kenntnis, dass es keine Chance gibt, seinen Antrag im Gemeinderat durchzubringen. Ein gemeinsames Engagement für die Kultur dieser Stadt hätte sich heilsam auf die Stimmung ausgewirkt. Es wäre wieder mehr in den Vordergrund gerückt, dass der Oberbürgermeister, Gemeinderat und auch die Bevölkerung nur das Beste für die Stadt wollen.

Auf Nachfrage von Oberbürgermeister Pelgrim verneint Stadtrat Preisendanz den Wunsch nach einer Abstimmung. Der Antrag vom 21.04.2015 gilt somit als zurückgenommen.

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