§ 96 - Verbot von Glyphosat auf städtischen Grundstücken (öffentlich)

Aus Ratsinformationssytem Schwäbisch Hall
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Sachvortrag:

Stadtrat Michael Rempp hat am 04.02.2018 einen schriftlichen Antrag auf Verbot von Glyphosat auf städtischen und hospitalischen Flächen gestellt.

Verpachtete städtische Flächen

Nachdem die EU-Kommission die Zulassung für das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat um weitere fünf Jahre bis Ende 2022 verlängert hat, ist anzunehmen, dass Glyphosat auch weiterhin auf verpachteten Landwirtschaftsflächen im Eigentum der Stadt und der Stiftung Hospital zum Heiligen Geist von den Pächtern ausgebracht wird.

Die Stadt und Stiftung verwalten ca. 550 landwirtschaftliche Pachtverträge, in denen durch Zusammenfassung eine Vielzahl von Pachtgrundstücken geregelt sind. Nach den Liegenschaftsdaten aus dem Amtlichen Liegenschaftskatasterinformationssystem (ALKIS) gliedern sich die landwirtschaftlichen Flächen in ca. 396 ha Ackerland und 541 ha Grünland. Bei dieser Anzahl an Pachtverträgen ist es nur mit einem sehr hohen Verwaltungsaufwand möglich, die Pachtverhältnisse individuell zu kündigen und den Pächtern mit neuen Vertragsbestimmungen, in diesem Fall dem Verbot von Glyphosat, anzubieten.

Der Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung spricht sich dafür aus mit einer systematischen Minderungsstrategie den Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln deutlich einzuschränken mit dem Ziel, die Anwendung so schnell wie möglich grundsätzlich zu beenden. Dazu werde man gemeinsam mit der Landwirtschaft Alternativen im Rahmen einer Ackerbaustrategie entwickeln und u.a. umwelt- und naturverträgliche Anwendungen von Pflanzenschutzmitteln regeln. Die dazu notwendigen rechtlichen Maßnahmen werde man in einem EU-konformen Rahmen verankern (siehe Anlage 3).

Künftig wird bei neuen Pachtverhältnissen oder bei Änderung der bestehenden Pachtverträge das Verbot von Glyphosat Vertragsbestandteil. Analog wird die HGE Haller Grundstücks- und Erschließungsgesellschaft mbH bei ihren Pachtverhältnissen vorgehen.

Öffentliche städtische Flächen

Auf öffentlichen städtischen Flächen erfolgt kein Einsatz von Glyphosat und Neonicotinoiden durch den Eigenbetrieb Stadtbetriebe.

Anlage 1: Artikel aus dem Spiegel vom 13.04.2016 und 28.02.2018
Anlage 2: Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom 01.03.2018
Anlage 3: Auszug Koalitionsvertrag, Kapitel XI
Anlage: Schreiben Schweizerische Eidgenossenschaft

Oberbürgermeister Pelgrim erklärt, dass auf Wunsch der CDU-Fraktion eine Stellungnahme der Schweizerischen Eidgenossenschaft als Tischvorlage in der heutigen Sitzung zur Verfügung gestellt wird. Diese wird Anlage zum Protokoll.

Stadtrat Rempp vertritt die Ansicht, dass ein Verbot auf lokaler Ebene nötig sei. Er möchte mit dem Antrag auf Verbot von Glyphosat den Einsatz von Breitband- und Totalherbiziden auf städtischen Flächen einschränken. Er sei gerne bereit, den Antrag auf die Stoffklasse der Neonicotinoide zu erweitern.

Stadtrat Reichert kommt auf die Anlage zur Sitzungvorlage zu sprechen, die seines Erachtens niemand wahrnehme. Aus diesem Grunde wird eine Ablehnung des Antrags angekündigt. Die Bundesregierung habe seines Erachtens im Koalitionsvertrag eine „sehr vernünftige“ Regelung mit einem Zeitplan und eine konkrete Handlungsinitiative aufgenommen. Man brauche keinen „Schwäbisch Haller Weg“. Fakt sei, dass ein Verbot von Glyphosat dazu führe, dass andere Mittel eingesetzt werden. Diese seien seiner Ansicht nach schädlicher für die Umwelt. In Schwäbisch Hall gebe es keinen flächenhaften Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen. Eine Kontrolle eines Verbots sei wenn, dann nur bedingt mit einem enormen personellen, finanziellen und logistischen Aufwand möglich. Für einen Nachweis müssten Proben an ein Labor geschickt werden. Das Sterben der Honigbienen sei seiner Ansicht nach nicht auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zurückzuführen. Ein Milbenbefall im Bienenstock sei der Grund. Wenn es dem Gemeinderat darum gehe, Bienenvölker zu unterstützen, müsse man stattdessen Blühflächen fördern. Man sollte seines Erachtens die Landwirtschaft nicht mit Verordnungen „gängeln“.

Stadtrat Neidhardt erklärt, dass es ihm um die Schaffung des Bewusstseins gehe. Wenn man weiterhin so wirtschafte, werde man die Landwirtschaft und somit die Ernährungsgrundlage des Menschen kaputt machen. Ihm gehe es darum, dass generell beim Einsatz von Insektiziden ein geringerer bzw. im besten Fall kein Einsatz mehr erfolgt. Es gebe Biolandbetriebe oder Demeterbetriebe, die ohne chemische Mittel auskommen. Die Nachfrage nach entsprechenden Produkten steige. Die Sitzungsvorlage der Verwaltung halte er für sinnvoll. Es sei logisch, dass man die Altverträge aufgrund des Verwaltungsaufwandes nicht mehr ändern könne.

Stadträtin Bergmann pflichtet Stadtrat Reichert bei, dass man nicht hektarweise Monokulturen habe. Stadträtin Bergmann spricht sich dafür aus, „mutig“ einen Schritt voraus zu gehen. In Triesdorf gebe es bereits vielversprechende Ansätze für eine nachhaltige Beikrautbekämpfung. Die Informationspolitik für Landwirte sehe sie in der Tat derzeit als Problem an. Dies sei jedoch Bundes- und Landessache. Es wird nochmals für die Zustimmung zur Sitzungsvorlage geworben. Hinsichtlich der Schaffung von Blühflächen wird auf den heute eingereichten Antrag ihrer Fraktion auf Schaffung einer Blühfläche im Bonhoefferweg Bezug genommen.

Stadtrat Baumann spricht sich nochmals für die Einholung einer Stellungnahme des Landwirtschaftsamtes Schwäbisch Hall aus. Man müsse nicht in vorauseilendem Gehorsam den Koalitionsvertrag vorab in Schwäbisch Hall erfüllen, während die Koalitionspartner darauf warten, was auf EU-Ebene passiere.

Stadträtin Rabe erkundigt sich, ob eine juristische Prüfung erfolgte. Es wird angefragt, ob die Stadt ein Verbot überhaupt verabschieden könne.

Oberbürgermeister Pelgrim führt aus, dass es in Deutschland eine Vielzahl an Gemeinden gebe, die einen entsprechenden Beschluss gefasst hätten. Es seien diesbezüglich keine anhängigen Klageverfahren bekannt. Die Stadt ist der Auffassung, dass man in den privatrechtlichen Pachtvertrag derartige Regelungen aufnehmen könne.

Stadtrat Bay führt aus, dass wenn eine Bevölkerungsgruppe im Fokus stehe, man diese zuvor anhöre. Er sei „schockiert“ darüber, dass niemand mit den Landwirten gesprochen habe. Fakt sei, dass das Bundesamt für Risikobewertung festgestellt habe, dass keine erbgutverändernden Eigenschaften oder krebserzeugende Wirkungen von Glyphosat ausgehen, wenn die Dosis stimme. Nach EU-Vorgaben aus dem Jahr 2008 sei Glyphosat so krebserregend eingestuft wie Nikotin, Alkohol und UV-Strahlung. Die Giftigkeit von Koffein sei höher. Wenn man Baden-Württemberg komplett biologische ernähren wollte, müsste man die Fläche von Thüringen hinzunehmen. Glyphosat sei ein Herbizid, welches nur über grüne Pflanzenteile wirke. Wenn Glyphosat einige Tage im Boden sei, könne dieses nicht mehr nachgewiesen werden. Im Falle eines Verbots von Glyphosat sei man gezwungen den Zwischenfruchtanbau zu reduzieren. Hierdurch werden wesentlich mehr Stickoxide verbraucht. Es wird in den Raum gefragt, wer der Anwesenden einen Sachkundenachweis besitze.

Stadtrat Leibold führt aus, dass einige ältere Anwender von Spritzmitteln parkinsonähnliche Erkrankungen und demenzielle Erkrankrungen erleiden. In Frankreich sei dies bereits als Berufskrankheit für Landwirte anerkannt. In Deutschland sei dies noch nicht der Fall.

Stadtrat Kaiser vertritt die Ansicht, dass es Zeit werde sich zu positionieren. Auch wenn eine Stellungnahme des Landwirtschaftsamtes vorliege, würden sich nach Ansicht von Stadtrat Kaiser die Meinungen und Positionen nicht ändern. Es gebe zum Thema „Glyphosat“ unterschiedliche Positionen. Er halte das Verbot für eine schlichte Notwendigkeit in der heutigen Zeit.

Stadtrat Reber kommt auf die Äußerung von Stadtrat Neidhardt zurück und erklärt, dass Glyphosat kein Insektizid sei. Wenn man ständig über CO2-Einsparungen rede und man nun im Hinblick auf thermische Verfahren Gas auf dem Acker verbrenne, sei dies seiner Ansicht nach kritisch zu bewerten. Die Anwendung in Deutschland finde bislang zu 99% auf Wurzelunkräuter statt. Grundsätzlich könne ein Grundstückseigentümer in den Pachtvertrag aufnehmen was er wolle. Man werde den Ausgang der heutigen Abstimmung akzeptieren. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) habe beispielsweise festgestellt, dass die Neonicotinoide schädlich für Nutzinsekten seien. Aus diesem Grunde habe die EU nun beschlossen, diese Mittel vom Markt zu nehmen. Die gleiche Behörde habe ebenfalls die Aussage getroffen, dass eine krebserregende Wirkung von Glyphosat unwahrscheinlich sei. Er habe letzte Woche die ausliegende Stellungnahme der Schweizerischen Eidgenossenschaft gefunden. Diese enthält Argumente, worauf sich die EU im Hinblick auf die Verlängerung für den Einsatz von Glyphosat stützt. Es stehe ausdrücklich im Koalitionsvertrag, dass an einer kurzfristigen Lösung in Sachen „Glyphosat“ im Rahmen einer Ackerbaustrategie gearbeitet werden soll. Diese soll im Herbst vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft veröffentlicht werden soll. Er sei selbst Teil des Praktikernetzwerks im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Man arbeite derzeit an Alternativen im Ministerium. Es wird die Frage aufgeworfen, warum man nicht abwarte bis das Ministerium etwas vorlege. Man schaffe sich ohne Not einen Wettbewerbsnachteil, wenn man heute das Verbot beschließe. Glyphosat sei in Deutschland für Direktsaatverfahren wichtig. Diese Verfahren gelten als erosionsmindernd und verhindern Nährstoffeinträge ins Grundwasser. Im Moment habe man noch keine Alternative zu Glyphosat. Es wird angeregt, über eine Vertagung der Beratung nachzudenken. Man sollte als Stadt eher Blühflächen und eine erosionsmindernde Bewirtschaftung fördern. Hierdurch werde seiner Ansicht nach der Natur und der Bevölkerung mehr geholfen.

Stadträtin Koch spricht sich dafür aus, nicht jeder Studie Glauben zu schenken, da diese häufig von entsprechenden Chemiekonzernen finanziert werden.

Stadtrat Waller erklärt, dass es darum gehe, alle aufgezeigte Gefahren zu vermindern oder diese auszuschließen. Die Diskussion habe gezeigt, dass alles in einen Topf geworfen werde. Im Gartenbau habe man eine andere Gemengelage. Man habe dort einen eingeschränkteren Einsatzbereich. Man habe um eine Stellungnahme des Landwirtschaftsamtes Schwäbisch Hall gebeten, da ihm nicht bekannt sei, welche negativen Erscheinungen im Landkreis auftreten. Mögliche Rückstände im Grundwasser wird als Beispiel angeführt. Wenn das Mittel Glyphosat richtig eingesetzt werde, baue es sich relativ schnell im Boden ab. Dieses könne nur über andere Umstände relativ zügig ins Grundwasser gelangen. Dies sei vielleicht auch ein Zustand, der auf unsachgemäße Anwendung zurückzuführen ist. Eine ähnliche Problematik sehe er im Hinblick auf die angeführten Erkrankungen. Mit Blick auf das Thema „Biogas“ wird zudem die Meinung vertreten, dass man nicht immer blindlings losgehen könne. Er hätte es daher besser gefunden, wenn er als Entscheidungsgrundlage ein paar Daten aus dem Landkreis gehabt hätte. Die Frage der Nachweisbarkeit von Verstößen im Falle von Vorbelastungen im Boden wird thematisiert. Eine sofortige Umsetzung des Verbots im Falle einer Neuverpachtung halte er für zweifelhaft.

Oberbürgermeister Pelgrim führt aus, dass man ein gewisses Maß an Vertrauen in die Entwicklung der Behörden, der Politik und in die Entwicklung der Europäischen Union habe. Wenn er lese, dass eine Koalition, die vor Ort eine unterschiedliche Einschätzung hat, aber auf Bundesebene eine gemeinsame Einschätzung getroffen habe, wonach der Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln deutlich mit dem Ziel eingeschränkt bzw. so schnell wie möglich grundsätzlich beendet werden soll, entspricht der Vorschlag der Verwaltung der Zielrichtung des Koalitionsvertrags. Auch um Übergangsmöglichkeiten zu eröffnen, soll das Verbot sich auf neue Pachtverträge beziehen. Man werde hierdurch einer öffentlichen Verantwortung gerecht. Man setze hierdurch ein klares Signal und gebe denjenigen, die sich umstellen wollen, eine Chance.

Beschluss:

Das Verbot zum Einsatz von Glyphosat auf städtischen und hospitalischen Flächen erfolgt bei künftigen Verpachtungen oder bei Änderung der Pachtverhältnisse per Regelung im Pachtvertrag.
(17 Ja-Stimmen, 14 Nein-Stimmen)

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