§ 59 - Wehrmachtsausstellung vom 30.05. - 13.07.2003 in Schwäbisch Hall (öffentlich)
Sachvortrag:
Antrag der Verwaltung auf eine Resolution zu der angekündigten Demonstration der Jugend Nationaldemokraten“
„Im Hinblick auf die für Samstag, 21. Juni 2003 angemeldete Demonstration der „Jugend Nationaldemokraten“ gegen die Wehrmachtsausstellung wird dem Gemeinderat die Verabschiedung folgender Resolution vorgeschlagen:
- Als Protest gegen die von der VHS organisierte Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht - Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-44“ beabsichtigen die „Jungen Nationaldemokraten“ am 21.6.2003 eine Demonstration in Hall durchzuführen.
Der Gemeinderat lehnt eine derartige Protestdemonstration ab. Die Verwaltung wird aufgefordert, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um volksverhetzende Parolen ebenso zu unterbinden wie das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole. In Schwäbisch Hall ist kein Platz für nationalistisches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut.“
Oberbürgermeister Pelgrim bezeichnet die überarbeitete Ausstellung als „international geachtet“. Sie vermittle allerdings nur einen Teil der Wirklichkeit. Dabei gehe es weder um pauschale Verurteilungen oder um persönliche Schuld noch um den gesamten Krieg.
Er sehe die Ausstellung in der Tradition der Stadt Schwäbisch Hall und nennt in diesem Zusammenhang die KZ-Gedenkstätte in Hessental, die Ausstellung im Hällisch-Fränkischen Museum, die Einladung der ehem. jüdischen Mitbürger/ Mitbürgerinnen und der ehem. Zwangsarbeiter.
Stadtrat H. Baumann stellt den Antrag, dass der Gemeinderat die Aussagen von Stadtrat Dr. Hasenfuss aus der Gemeinderatssitzung vom 23.10.2002 verurteilt, da sich der Kriegsteilnehmer und Kollege sowie ehrenamtliche OB-Stellvertreter Roland Heckelmann durch diese Ausführungen verunglimpft fühlt.
Oberbürgermeister Pelgrim unterbricht die Sitzung für ca. 5 Minuten, damit die Fraktionen über diesen Antrag beraten können.
Anschließend macht Stadtrat Vogt den Vorschlag, das Wort „verurteilen“ durch „zurückweisen“ zu ersetzen, da der heute aus beruflichen Gründen entschuldigte Stadtrat Dr. Hasenfuss seine Äußerungen sicherlich nicht auf Herrn Heckelmann bezogen hat.
Ansonsten könne sich seine Fraktion voll hinter den FWV-Antrag stellen.
Stadträtin Herrmann stellt die Frage, was das ganze jetzt - über ein halbes Jahr später - noch soll.
Inhaltlich tut der damalige Vorgang zum jetzigen Beratungsthema nichts zur Sache.
Außerdem sei Dr. Hasenfuss heute nicht anwesend und könne selbst nicht Stellung zu den Vorwürfen beziehen.
Der Antrag von Stadträtin Herrmann auf Zurückweisung des FWV-Antrags wird mit 27 Nein-Stimmen, bei 2 Ja-Stimmen und 2 Enthaltungen abgewiesen.
Dem o. g. Antrag der FWV-Fraktion wird mit 29 Ja-Stimmen zugestimmt, wobei sich die Stadträtinnen Herrmann und Nothacker nicht an der Abstimmung beteiligt haben.
Stadtrat Vogt begründet folgende Resolution der SPD-Fraktion, die eine breite Mehrheit im Gemeinderat finden sollte:
- „Die Stadt Schwäbisch Hall stellt sich der Verantwortung, sich kritisch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinander zusetzen. Die Volkshochschule hat die zweite, überarbeitete Ausstellung „Die Verbrechen der Wehrmacht“ nach Schwäbisch Hall geholt und gibt damit der Bevölkerung der Stadt und der Region die Gelegenheit, sich vertieft mit dem Thema zu befassen.
Der Gemeinderat empfiehlt den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt und der Region, die Ausstellung zu besuchen und von den zahlreichen Angeboten des Rahmenprogramms Gebrauch zu machen. Mitschuld von Teilen der Wehrmacht vor allem der Führung, an den Verbrechen des Nationalsozialismus kann und darf nicht geleugnet werden.“
Er hält die öffentliche Diskussion über dieses Thema für wichtig. Die Bürger hätten einen Anspruch zu wissen, wie die Stadträte zum Thema „Wehrmachtsausstellung“ stehen.
Er appelliert hinsichtlich der o. g. Resolution nochmals an die Einheit im Gemeinderat, da die Stadt einen Ruf zu verlieren habe. Schließlich prägten Toleranz und Liberalität das geistige Klima in Schwäbisch Hall.
Stadtrat Zügel glaubt, dass er als junger Mensch sachlich rational mit der Geschichte der Wehrmacht umgehen könne.
Doch ältere Menschen, die Familienangehörige im Krieg verloren hätten, betreffe diese Ausstellung natürlich wesentlich emotionaler.
Leute, die der Resolution nicht zustimmen, dürften nicht in die „rechte Ecke“ gestellt werden. Falsch verstandene „politische Korrektheit“ bringe nichts.
Er teilt mit, dass die CDU-Fraktion dieser Resolution kritisch gegenüber stehe.
Zum Antrag der Verwaltung bezüglich der Resolution zu der angekündigten Demonstration der „Jungen Nationaldemokraten“ am 21.06.2003 in Hall teilt er mit, dass nicht nur das Gedankengut, sondern auch die Organisation als „widerlich“ zu bezeichnen seien. Dennoch müsse die Stadt selbstbewusst genug sein, dieses „verabscheuenswürdige Gedankengut“ zu ertragen.
Die „Jungen Nationaldemokraten“ würden sich selbst disqualifizieren.
Stadtrat Heckelmann:
Ich werde mich bemühen, die Wehrmachtsausstellung als das zu sehen, was sie ist - nämlich eine Ausstellung, die jeder Bürger besuchen kann oder auch nicht.
Eine Empfehlung/ Resolution oder gar Aufforderung, zur Ausstellung zu gehen, werden Sie von mir jedoch nicht hören oder verlangen.
Die Ausstellung ist aus meiner Sicht eine einseitige Verurteilung und Anklage der Generation, die sich nicht mehr wehren kann oder will.
Als Zeitzeuge kann ich Ihnen nochmals versichern, dass die Rahmenbedingungen von 1930 - 1943 für den Normalbürger keine Möglichkeit zu ließen, dem Sog der Illusionierung zu entgehen.
Ich habe heute keine ideologischen Rückstände mehr. Eigener Anschauungsunterricht in Dachau und Zamosc und auch auf den Soldatenfriedhöfen haben mich längst geläutert.
Heute kann ich nicht mehr verstehen, wie man Kinder mit 17 Jahren, wenn ich an meinen Enkel denke, dressiert und ideologisch gedopt zum Kampf gegen die „asiatischen Horden“ - so hieß es damals - auffordert.
So erging es Tausenden von Kindern und Familienvätern.
In jedem Haushalt steht heute noch ein postkartengroßes Bild des Vaters, des Sohnes oder nahen Verwandten mit Stahlhelm - schwarz umrandet. Wenn Sie sich unvoreingenommen umschauen, so steht auch bei Ihnen daheim oder in der Nachbarschaft ein solches Erinnerungsfoto.
Mit Ideologie und Verdummung hat man dieser Generation 15 Jahre Weitblick verwehrt. Die späte Erkenntnis war schmerzlich und musste von jedem zu den Waffenberufenen teuer bezahlt werden.
Meine Kritik gilt nicht nur der Ausstellung, sondern auch ihrer Vorbereitung.
Bei mehr als 40 Rahmenveranstaltungen hätte ich vom jetzigen Veranstalter - nämlich der VHS - erwartet, dass mindestens die Hälfte der Vorbereitung die Rahmenbedingungen „Armut“, „politisches Unvermögen“, „Diktatur“, „schwache Regierung“ etc. behandelt hätten.
Herr Dr. Eppler hat die Situation aus der Sicht eines Gymnasiasten mit viel Gefühl in seinem Vortrag dargestellt. Ich war „nur“ Volksschüler und hatte in jeder Klasse entweder einen hochrangigen Nazi-Lehrer oder mindestens eine Blockwart als Lehrer.
Die Vorbereitung zum „totalen Krieg“ war also unterschiedlich.
Ich gehörte tatsächlich zu den „armen Schweinen“, welche 1944 zu Weihnachten noch an den Endsieg glaubten.
Wie und warum es soweit kommen konnte, fehlt in der Vorbereitung zur Ausstellung.
Ich bin froh, dass sich OB und Gemeinderat von der pauschalen Verurteilung distanzieren und somit 95 % lebende Kriegsteilnehmer, Väter und Großväter freisprechen vom Verbrechertum.
Genießen Sie die Demokratie, um welche noch viele Menschen auf der Welt kämpfen.
Sind Sie alle froh, dass Sie denken und handeln können nach ihrem eigenen Wissen und Gewissen, ohne Angst vor dem Arbeitslager und vor allem aus einer wirtschaftlichen Situation heraus, welche nicht von Armut, Elend und Trostlosigkeit bestimmt wird.
Stadtrat Preisendanz ist der Auffassung, dass sich die Öffentlichkeit häufig einseitig mit den Nazi-Verbrechen, d. h. zu wenig mit dem Widerstand, befasse.
Aus Vergangenheit werde jedoch keine Zukunft.
Stadträtin Herrmann dankt dem Initiativkreis des Club Alpha 60 e. V., hier insbesondere Dietmar Winter, der maßgeblich daran beteiligt war, die Ausstellung nach Schwäbisch Hall zu holen.
Stadtrat Schmid teilt mit, warum die FWV nicht zum Besuch der Ausstellung auffordern wolle.
Darin werde „die“ Wehrmacht pauschal und insgesamt als kriminell dargestellt. Es fehle die Rücksicht auf den Teil der 18 Mio. Wehrmachtssoldaten, die nicht an Verbrechen beteiligt waren.
Er geht in diesem Zusammenhang auf die Befehlsstrukturen in der Wehrmacht und den Widerstand gegen die Naziführung ein.
Nach weiterer Aussprache zitiert Stadtrat Vogt Passagen aus den Stellungnahmen acht namhafter Historiker zu der Ausstellung.
Stadtrat Sakellariou sieht in den Ausführungen von Stadtrat Heckelmann das beste Argument für die Ausstellung, da junge Leute durch Aufklärung nicht in die gleiche Gefahr geraten dürfen.
Stadtrat Rempp teilt mit, dass er sich bisher mit der Ausstellung „schwer getan habe“. Durch ihren zusammenführenden und nicht spaltenden Charakter könne er ihr jedoch zustimmen.
Auf Bitte von Stadtrat Vogt unterbricht Oberbürgermeister Pelgrim die Sitzung für 3 Minuten zur Beratung der Fraktionen über die Resolution.
Anschließend spricht sich Stadtrat H. Baumann gegen die vorliegende Resolution aus.
Daraufhin schlägt Stadtrat Vogt als Kompromiss vor, den dritten Satz zu streichen. Der Rest müsse allerdings so bleiben wie vorgetragen.
Der Antrag der SPD-Fraktion auf die o. g. Resolution mit dem genannten Kompromissvorschlag wird mit 19 Nein-Stimmen, bei 11 Ja-Stimmen und 1 Enthaltung abgelehnt.
Daraufhin schlägt Oberbürgermeister Pelgrim folgenden Text vor:
- „Die Stadt Schwäbisch Hall stellt sich der Verantwortung, sich kritisch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinander zusetzen. Die Volkshochschule hat die zweite, überarbeitete Ausstellung „Die Verbrechen der Wehrmacht“ nach Schwäbisch Hall geholt und gibt damit der Bevölkerung der Stadt und der Region Gelegenheit, sich vertieft mit dem Thema zu befassen.
Der Gemeinderat unterstützt dabei den Bildungsauftrag der Volkshochschule.“
Dieser Resolution wird mit 16 Ja-Stimmen, bei 12 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen zugestimmt.
- Stadträtin/ -räte Rabe, Reber und Unser bis 22.05 Uhr anwesend -
Die o. g. Resolution gegen eine Demonstration der „Jungen Nationaldemokraten“ in Schwäbisch Hall wird mit 25 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen befürwortet.